Wissenschaftler benutzen gerne das Bild einer aufgeschnittenen Pampelmuse, um nachvollziehbar zu machen, wie die Fasern des weißen Gewebes das Fruchtfleisch stützen. Heute gehen wir davon aus, dass unsere Faszien - lange Zeit als "Aschenputtelgewebe" wenig beachtet – wichtige Aufgaben übernehmen. Dazu gehört z. B. die Produktion von Substanzen, die die Gleitfähigkeit des Gewebes steuern, z. B. die Schmiermittel Collagen und Hyaluronsäure. Bewegungs,– oder Flüssigkeitsmangel hingegen können zu Gewebewucherungen oder sogar eingeklemmten Nerven führen. Denn Faszien sind ein großer Wasserspeicher. Bei zu wenig Flüssigkeit wird das Gewebe rau, ähnlich einem in der Sonne getrocknetem Frotteehandtuch. Es verklebt oder verhärtet, die Gleitfähigkeit und mitunter die Beweglichkeit sind eingeschränkt. Und da alles mit allem verbunden ist, kann eine zu starke Zugspannung, z. B. im Rücken zu Schmerzen führen.
Feldenkrais und die Muskulatur der Seele
Der Mensch muss sich im Schwerefeld der Erde organisieren. Diese an sich selbstverständliche Tatsache, die genauso Fakt ist, wie die Rotation der Erde, ist grundlegend für das Denken von Dr. Feldenkrais. Bedenken wir, dass der Mensch durch den aufrechten Gang zwar enorme Bewegungsfreiheit in alle Richtungen hat, sein labiles Gleichgewicht allerdings erhebliche Kapazitäten des Nervensystems beansprucht, um dieses zu halten, so wird schnell klar, wie wichtig das bestmögliche Funktionieren unserer Körpermechanik, also das Zusammenspiel unserer Gelenke, Knochen und Muskeln ist, um diese Bewegungsfreiheit anstrengungsfrei und voll auszuschöpfen.
Funktionelles Missverhalten und unpassende Gewohnheiten erkennen, um angemessenere Wege zu finden
Dr. Feldenkrais war durch seine Erfahrungen davon überzeugt, dass alles, was wir Krankheit nennen, sofern es nicht auf schwerwiegende Aspekte zurückzuführen ist, in einer Abweichung von einer optimalen Aufrichtung begründet sein könnte, worunter er ein funktionelles Missverhalten verstand. Ferner ging er davon aus, dass wir uns so sehr an diese Störungen oder Abweichungen gewöhnt haben, dass sie uns nicht mehr auffallen und uns demzufolge auch nicht mehr bewusst sind. Folglich suchte er nach Wegen, die Verbesserung der Bewusstheit und damit die Vorhänge des Wahrnehmens und deren Verarbeitung im Nervensystem besser zu verstehen und zu erforschen.
Bewusstheit als Schlüssel zum Lernen, um gleichermaßen mit der Außenwelt und dem eigenen Körper verbunden zu sein
Den ersten Ansatz der Bewusstwerdung oder der Bewusstheit sah er in der Trennung von den Reizen im Außen (Nicht-Ich), die wir über die paarweise angeordneten Rezeptoren Augen, Nase und Ohren aufnehmen und deren Verarbeitung und Wirkung im Innern (Ich). Dieser Vorgang wird über das Wachstum einer wichtigen Leitbahn im Rückenmark gesteuert. Unser Nervensystem ist so aufgebaut, dass wir neben dem unwillkürlichen und dem willkürlichen Teil noch von einem dritten Teil sprechen können, der durch seine Struktur entwicklungsfähig, also lebenslang veränderbar und verbesserbar ist. Hier sah Feldenkrais die Aspekte Sprache, Orientierung und Manipulation. Bedingt durch die zahlreichen Verbindungsstellen, über die dieser Teil des Nervensystems die Muskulatur erreicht, arbeitet es sehr langsam. Diese Langsamkeit bedeutet eine Hemmung, die zu einer Trennung zwischen Absicht und Ausführung führen kann und eine wichtige Grundlage des Lernens ist.
Aufmerksamkeit für uns selbst und unsere Bewegungen als Schlüssel für ein besseres Selbstempfinden
Idealerweise verläuft jede auf ihren Zweck gerichtete Tätigkeit ohne Anstrengung. Daher wird in der Feldenkrais Arbeit das Nervensystem weitestgehend entlastet, um überflüssige Spannung abzubauen. Denn die Reaktion unseres Nervensystems auf die Schwerkraft ist durch Gewohnheiten festgelegt und solange eine Gewohnheit wirksam ist, gibt es kein Mittel, andere als die gewohnten Reize in der Muskulatur hervorzurufen. Daher liegt der Fokus auf der Qualität der Arbeit, die Aufmerksamkeit ist auf den ganzen Menschen, seinen ganzen Körper und den Zusammenhängen seiner Körperteile gerichtet. Es geht nicht darum, Bewegungen nach einem verfertigten Schema zu üben, sondern darum, eigene Gewohnheiten zu erkennen und aus uns selbst heraus die beste Möglichkeit zu wählen. Das bedeutet, dass uns unsere Gestalt und unsere Haltung mit wachsender Genauigkeit zunehmend vorstellbarer werden, was zu einer Änderung des Selbstempfindens und wachsendem Selbstvertrauen führen kann.
Der Einheit auf der Spur - für ein gutes Leben mit Leichtigkeit
Die Feldenkrais Arbeit kann nicht zaubern, aber sie kann uns dazu führen, das Innewerden zu vervollkommnen, in dem sie das Verhältnis zu uns selbst und zu unserer Umwelt maßgeblich verbessert und dabei auch auf unsere Psyche einwirkt und uns Mittel an die Hand gibt, ein angenehmeres, gesünderes und schöneres Leben zu führen. Denn das, was wir zweierlei mit Geist und Körper benennen, gibt es nur als Einheit.